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29.08.2014

Sommertour "WildesNRW": Staatssekretär Becker informiert sich auf Zeche Zollverein über urbane Wildnis und Industriewaldprojekt Ruhrgebiet

Auf 101 Gebieten mit mehr als 8.000 Hektar Fläche herrscht in NRW offiziell Wildnis. Das bedeutet: Der Mensch hält sich zurück und beobachtet, wie die Natur sich von selbst entfaltet. Das gilt auch für die ehemaligen Industrieflächen im Emscher Landschaftspark, auf denen seit fast 20 Jahren eine besondere Form von Wildnis entstanden ist. "Es ist erstaunlich, welche Vielfalt sich entwickelt, wenn wir die Natur Natur sein lassen. Jüngste Forschungen bestätigen, dass gerade der großstädtische Raum in Nordrhein-Westfalen eine sehr hohe Artenvielfalt aufweist. So entsteht eine neue Form des Naturerbes aus unserem industriellen Erbe", sagte Horst Becker, Parlamentarischer Staatssekretär im NRW-Umweltministerium, heute bei seinem Besuch des UNESCO-Welterbes Zeche Zollverein im Rahmen der Sommertour "WildesNRW".

Wildnisgebiete haben für die biologische Vielfalt eine zentrale Bedeutung. Mit seinen Wildnisgebieten leistet das Land NRW einen wichtigen Beitrag zur nationalen Biodiversitätsstrategie der Bundesregierung. Diese gibt das Ziel vor, fünf bis zehn Prozent der Waldflächen für natürliche Entwicklung bereitzustellen. Der Landesbetrieb Wald und Holz NRW hat im Staatswald Nordrhein-Westfalen bisher einen Nationalpark ausgewiesen sowie rund 170 Naturwaldzellen und Wildnisgebiete. Damit entwickelt sich derzeit auf über 16.000 Hektar und rund elf Prozent der staatlichen Waldflächen der "Urwald von morgen".

Eine wissenschaftliche Untersuchung aus dem Jahr 2013 hat ergeben, dass das etwa 100 Hektar große Areal der ehemaligen Zeche Zollverein zu den artenreichsten Industriebrachen des Ruhrgebiets zählt. Die Standortvielfalt des Geländes begünstigt die Entwicklung einer vielfältigen industrietypischen Flora. 540 Pflanzenarten wurden nachgewiesen, darunter in NRW gefährdete und stark gefährdete Arten, wie das Kleine Tausendgüldenkraut, das Raue Vergissmeinnicht, die Ackerröte oder die Europäische Wasserfeder. "Gerade urbane Wildnisgebiete auf ehemals industriell genutzten Böden haben eine besondere Bedeutung für die grüne städtische Infrastruktur. Diese urbanen Wildnisinseln sind Garanten für die biologische Vielfalt", sagte Becker.

Der Strukturwandel im Ruhrgebiet hat seit Jahrzehnten große industriell vorgenutzte Brachflächen hinterlassen. Das Phänomen der spontanen Eigenentwicklung hin zum "wilden" Wald hat sich das "Industriewald-Projekt Ruhrgebiet" zu eigen gemacht. Entstanden aus der Internationalen Bauausstellung Emscher Park, verfolgt das Industriewaldprojekt das Ziel, Natur Natur sein zu lassen. Betreut wird das Projekt vom Landesbetrieb Wald und Holz NRW.

Unter dem Motto "WildesNRW" informieren sich Minister Remmel und der Parlamentarische Staatssekretär im Umweltministerium, Horst Becker, auf ihrer landesweiten Sommertour über die Vielfalt an Lebensräumen in NRW, über Artenreichtum und Artenverlust sowie erfolgreiche Schutzprojekte vor Ort. "Unser Land hat eine einzigartige und beeindruckende Natur, es ist ein Hort für Tausende von Tieren und Pflanzen - ein Schatz direkt vor unserer Tür. Ein Schatz, der immer wieder neu entdeckt werden will. Aber eben auch ein Schatz, den es für die nächsten Generationen zu erhalten gilt. Die 'Urwälder von morgen' bereichern unser Naturerbe und sind ein wichtiger Teil unserer Strategie zum Schutz unserer Artenvielfalt", sagte Becker.

Verlust der biologischen Vielfalt bedroht das wilde NRW

In Nordrhein-Westfalen leben über 43.000 verschiedene Tier-, Pilz- und Pflanzenarten. Dieser Artenreichtum ist die Folge des Nebeneinanders zweier großer, sehr verschiedener Naturräume: Dem atlantisch geprägten Tiefland und dem kontinental geprägten Bergland. Jede dieser Regionen bietet eine historisch gewachsene Vielfalt von Lebensräumen (Biotopen) mit ihren typischen Tieren und Pflanzen, vom kleinsten Insekt über unseren "Urwald-Baum", die Rotbuche, und den Wanderfalken als weltweit schnellstem Lebewesen bis hin zum größten Wildtier in NRW, dem europäischen Wisent. Ein Schatz direkt vor unserer Tür. Aber auch ein Schatz, der bedroht ist und den es zu bewahren gilt.

Weltweit ist die biologische Vielfalt massiv bedroht. Seit Jahrzehnten ist ein dramatischer Rückgang der Arten zu beobachten. So liegt die gegenwärtige Verlustrate in einigen Regionen der Welt etwa 100 bis 1.000 Mal höher als die natürliche Aussterberate. Auch in NRW geht der Verlust an biologischer Vielfalt weiter. Unsere Landschaften und Lebensräume haben sich durch die Eingriffe des Menschen stark verändert. Dies zeigt zum Beispiel ein Blick auf die Wälder in Deutschland: Von Natur aus wären rund zwei Drittel der Fläche Deutschlands von unserem Ur-Baum, der Rotbuche, bedeckt. Heute sind es real aber nur noch knapp sechs Prozent der Fläche.

Unser Naturerbe in NRW zu erhalten, ist eine Herkulesaufgabe, denn auch in NRW konnte bisher das Artensterben nicht aufgehalten werden: Etwa 45 Prozent der untersuchten Tier- und Pflanzenarten sind gefährdet, vom Aussterben bedroht oder bereits ausgestorben. Nach der aktuellen "Roten Liste NRW" sind dabei Schmetterlinge (rund 55 Prozent), Moose (60 Prozent), Kriechtiere (etwa 71 Prozent) sowie Vögel und Wildbienen/Wespen (jeweils rund 52 Prozent betroffen) überdurchschnittlich gefährdet.

Die Ursachen des Artensterbens sind häufig menschengemacht: Hierzu gehören unter anderem die zu intensive Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen, die Zerstörung und Zerschneidung naturnaher Lebensräume und der fortschreitende Flächenfraß. So gehen täglich in NRW etwa 10 Hektar an wertvollen Lebensräumen für eine Vielzahl von Tier-, Pilz- und Pflanzenarten verloren.

Das NRW-Umweltministerium will dem fortschreitenden Verlust der biologischen Vielfalt mit einer neuen Biodiversitätsstrategie und einem neuen Landesnaturschutzgesetz entgegenwirken. Beide Vorhaben sollen zeitnah umgesetzt werden.