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Minister Remmel: „Branchenverband will Transparenz beim Antibiotika-Einsatz in der Putenmast verhindern“

NRW-Verbraucherschutzministerium kritisiert Klageandrohung gegen Kommunen – Fachaufsichtliche Überprüfung wird wie geplant fortgesetzt

NRW-Verbraucherschutzminister Johannes Remmel hat den Versuch von Unternehmen und Verbänden der Geflügelindustrie aufs Schärfste kritisiert, die aktuelle fachaufsichtliche Überprüfung des Einsatzes von Antibiotika in der Putenmast mit rechtlichen Mittel zu verhindern. „Das Vorgehen des Verbandes der deutschen Putenerzeuger sowie einiger Putenerzeugergemeinschaften gegen das Land und die Kommunen zeigt ganz klar, dass sie nicht an Transparenz interessiert sind“, sagte Minister Remmel. „Hier sollen offenbar schwarze Schafe unter den Betrieben auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher weiterhin geschützt, anstatt Missstände offen gelegt werden.“ Vom Verband und den Unternehmen werde versucht, mit fadenscheinigen Argumenten die Kommunen einzuschüchtern. Remmel: „Unser Verfahren wurde erst kürzlich vom Datenschutzbeauftragten des Landes NRW geprüft. Es wurde nichts beanstandet.“ Minister Remmel forderte daher den Verband und die Unternehmen eindringlich auf, ihre teure Bekämpfung der behördlichen Erhebung einzustellen. „Beenden Sie das Säbelrasseln und die Einschüchterungsversuche. Stecken Sie das Geld lieber in bessere Haltungsbedingungen und einen Aktionsplan zur Reduzierung von Antibiotika in der Putenmast!“

Ende Mai hatte die Kanzlei Graf von Westphalen im Auftrag der Putenerzeugergemeinschaften Münsterland, Rheinland und Nordwest sowie in Abstimmung mit dem Verband Deutscher Putenerzeuger Kommunen in Nordrhein-Westfalen gewarnt, sich an der vom Landesumweltamt (LANUV) durchgeführten fachaufsichtlichen Überprüfung zu beteiligen und gleichzeitig ein Ultimatum gesetzt. In dem 4 Seiten umfassenden Schreiben forderte die Kanzlei die Kommunen auf, bis zum 14. Juni eine Erklärung zu unterschreiben, bestimmte Daten nicht an das LANUV weiterzureichen. Diese Daten umfassen unter anderem Angaben zum Tierhalten und der Betriebsstätte sowie Behandlungsdaten der einzelnen Mastdurchgänge, etwa die Zahl der Verabreichungen eines Antibiotikums. Sollten die Kommunen bis zu diesem Datum keine entsprechende Erklärung abgeben, würden rechtliche Schritte gegen die nordrhein-westfälischen Kommunen geprüft. „Die Drohung ist ein einmaliger Affront gegen die Kommunen und gegen das Land NRW, der seines gleichen sucht“, kritisierte Remmel. Gleichzeitig teilte die Kanzlei mit, dass die Verbände gegebenenfalls ihren Mitgliedsunternehmen empfehlen würden, die Studie zu torpedieren, in dem die notwendigen Daten nicht an die kommunalen Stellen weitergeleitet würden. „Offenbar bereitet die Putenmast-Branche einen Boykott der fachaufsichtlichen Erhebung vor. Ich kann nur darüber staunen, denn es waren die Verbände der Geflügel- und Nahrungsmittelindustrie, die noch vor gar nicht allzu langer Zeit, mehr Transparenz versprochen haben. Dies jetzt ist das Gegenteil. Hier soll offenbar weiter vertuscht werden.“ Das Land richtet sich jetzt auf eine juristische Auseinandersetzung mit den Verbänden und Unternehmen ein.

Nach einer Erhebung der Bundesregierung wurden im Jahre 2011 rund 1734 Tonnen Antibiotika in Deutschland an tierärztliche Hausapotheken geliefert, über 90 Prozent davon wurden für Nutztiere eingesetzt, darunter Schweine, Hühner und Puten.

In zwei Studien aus den Jahren 2011 und 2012 hatte das NRW-Verbraucherschutzministerium den massiven Einsatz von Antibiotika in der Hähnchenmast erstmalig festgestellt und damit bundesweit eine breite Debatte ausgelöst, die bei der Bundesregierung zu einer Kehrtwende in der bisherigen Verbraucherschutzpolitik führte. „Schon unsere erste Studie über den Einsatz von Antibiotika in Hähnchenmast hat gezeigt, wie alarmierend die Situation ist. 9 von 10 Tieren kamen mit Antibiotika in Kontakt“, kritisierte Remmel. In einer zweiten Studie („Verschleppungsstudie“) aus dem Juli 2012 wurde festgestellt, dass Mastgeflügel in NRW auch außerhalb von Therapiezeiten und teilweise sogar ohne tierärztliche Verordnung in Kontakt mit Antibiotika gelangt ist.

Als Konsequenz hatte Minister Remmel weitere Untersuchungen des Missbrauchs von Medikamenten in der Tiermast, unter anderem bei Puten und Schweinen, angekündigt. Die Erhebung für die Putenmaststudie wird jetzt durch das Vorgehen der Verbände und Unternehmen torpediert. „Wir müssen feststellen, dass es in der Intensivtierhaltung ein massives Antibiotika-Problem gibt und dass Verbände sowie Unternehmen alles tun, damit sich nichts verändert. Statt sich diesem Problem zu stellen, betreiben viele Akteurinnen und Akteure ein durchschaubares Spiel: verharmlosen, verschleiern und verwässern. Das Vorgehen der Putenindustrie bestätigt das“, kritisierte NRW-Verbraucherschutzminister Johannes Remmel. „Der Einsatz von Antibiotika hat ein Ausmaß erreicht, das völlig indiskutabel ist“, betonte der Minister. Offenbar sei die antibiotikafreie Tiermast nur noch eine Ausnahme und nicht mehr die Regel. Minister Remmel erneuerte daher seine politischen Forderungen: „Wir müssen die Antibiotika-Ströme in der Tierhaltung endlich vollständig transparent machen. Und wir brauchen einen konkreten Fahrplan, wie wir Antibiotika auf das notwendige Mindestmaß reduzieren können. Mit der Überprüfung des Antibiotikaeinsatzes in der Putenmast wollen wir dazu einen Beitrag leisten. Wir werden uns trotz des Widerstandes der Industrie nicht davon abbringen lassen.“

NRW dringt deshalb auch mit anderen Bundesländern im Vermittlungsausschuss auf deutliche Nachbesserungen am Arzneimittelgesetz, das von Bundesministerin Aigner jüngst vorgelegt wurde. Ziel der Länder ist es, neben einer vollständigen Transparenz der Antibiotika-Ströme in der Tiermast auch einen klaren Maßnahmeplan und konkrete Befugnisse der Behörden zur Minimierung des Antibiotikaeinsatzes zu erreichen. Eine Einigung ist bisher an der Bundesregierung gescheitert.

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