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Perfluorierte Chemikalien und Tenside

Die Ruhr – auch hier wurde PFT nachgewiesen. Foto: Marina Stremme/Panthermedia.net

Perfluorierte Chemikalien werden heute weltweit in Flüssen, in den Weltmeeren, in Tiefseeproben und in der Atmosphäre nachgewiesen. Auch im Gewebe und im Blut von Menschen und Tieren wurden die Wissenschaftler fündig. Spätestens seit im Jahr 2006 die Belastung von Gewässern und Trinkwasser an Ruhr und Möhne mit PFT bekannt wurde, ist das Thema auch in Nordrhein-Westfalen angekommen.


Was sind Perfluorierte Chemikalien?

Per- und polyfluorierte Chemikalien (PFC) sind synthetisch hergestellte, langlebige organische Chemikalien, die in der Natur nicht vorkommen.

Das Auftreten von perfluorierten organischen Verbindungen in der Umwelt wurde in den 1970er Jahren erstmals beobachtet. PFC werden heute weltweit in Flüssen, in den Weltmeeren, in Tiefseeproben und in der Atmosphäre nachgewiesen. Auch im Gewebe und Blut von Menschen und Tieren wurden die Wissenschaftler fündig, wobei die Wege und physikalisch-chemischen Mechanismen, über die sich speziell die PFC bisher global verteilt haben, noch nicht vollständig aufgeklärt sind. Rückstände dieser Verbindungen sind sogar im Lebergewebe von grönländischen Eisbären und Fischen aus der Arktis nachgewiesen worden.


Perfluorierte Tenside (PFT)

Eine Teilmenge der PFC ist unter der Bezeichnung PFT (perfluorierte Tenside) bekannt und betrifft verschiedene PFC, die aufgrund ihrer Tensid-Eigenschaften bei der Herstellung zahlreicher Industrie- und Konsumgüter verwendet werden, da sie schmutz-, farb-, fett-, öl- und wasserabweisend und außerdem hitzestabil sind.

Im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses standen anfangs vor allem zwei PFT-Stoffgruppen, die Perfluoroctansäure (PFOA) und die Perfluoroctansulfonsäure (PFOS), die auch weltweit im menschlichen Blut nachgewiesen werden können: Der Körper scheidet beide Verbindungen nur langsam wieder aus.

Für den Menschen stellen PFOA und PFOS nach bisherigem Wissensstand eine vergleichsweise geringe bis mäßige akute Gesundheitsgefahr dar. Sie werden aber mit einigen chronischen Effekten in Zusammenhang gebracht (Einflüsse auf Fettstoffwechsel, Schilddrüse, Immunsystem und hormonelle Abläufe). Ausgehend von diesen Effekten hat die Kommission Human-Biomonitoring am Umweltbundesamt Vorsorgewerte für PFC im Blut, sogenannte HBM-I-Werte für PFOA und PFOS abgeleitet. HBM-II-Werte, bei deren Überschreiten eine gesundheitliche Beeinträchtigung möglich ist, wurden noch nicht abgeleitet Eine abschließende gesundheitliche Bewertung für die gesamte Stoffgruppe der PFC, insbesondere der kürzerkettigen Verbindungen, ist derzeit aber noch nicht möglich.

PFC im Trinkwasser

Bei Bekanntwerden der PFC-Belastung von Gewässern und Trinkwasser an Ruhr und Möhne im Jahr 2006 existierten für diese Schadstoffgruppe noch keine speziellen Trinkwassergrenzwerte, Qualitätsnormen für Oberflächengewässer, Zielvorgaben oder Orientierungswerte für eine fachliche Bewertung der gefundenen Belastungen. Das Umweltbundesamt (UBA) hat danach auf der Grundlage einer Risikoabschätzung durch die Trinkwasserkommission eine Bewertung der gefundenen Konzentrationen mit Blick auf die Trinkwasserversorgung herausgegeben: Danach galt zunächst ein gesundheitlich duldbarer Leitwert (LW) von 0,3 Mikrogramm pro Liter (µg/l) für die Summe aus PFOA und PFOS.

Seither sind sowohl zu PFOA und PFOS wie auch zu anderen PFC weitere Daten erarbeitet und veröffentlicht worden, die Anlass für eine Fortschreibung der damaligen vorläufigen Bewertung gaben. Für Grundwasser wurden in 2017 Geringfügigkeitsschwellenwerte (GFS-Werte) für sieben PFC-Einzelstoffe durch eine gemeinsame Arbeitsgruppe der Bund/Länderarbeitsgemeinschaften Wasser (LAWA) und Boden (LABO) erarbeitet. Hierbei wurden die für das Schutzgut Trinkwassergewinnung geltenden Qualitätsanforderungen sowie ökotoxikologische Kriterien berücksichtigt – der jeweils niedrigere Wert ist entscheidend für die Festlegung des GFS-Wertes im Grundwasser.

Auf diesen Bewertungen gründen die nunmehr vorliegenden aktuellen Empfehlungen. Demnach gilt für PFOA und PFOS jeweils ein Trinkwasserleitwert in Höhe von 0,1 µg/L. Für weitere fünf PFC-Einzelverbindungen konnten Leitwerte auf humantoxikologischer Grundlage abgeleitet werden. Bis zu dieser Konzentration kann das Trinkwasser für alle Bevölkerungsgruppen lebenslang bedenkenlos getrunken werden.

Seit Inbetriebnahme der Aktivkohlefilteranlage beim Wasserwerk Möhnebogen und weiterer Maßnahmen zur Reduzierung der PFC-Belastung der Ruhr sind seit August 2006 keine Überschreitungen des gesundheitlich duldbaren Leitwertes bei PFOA und PFOS festgestellt worden. Dies gilt nach heutiger Kenntnis und Datenlage auch für weitere – z. B. kürzer- und längerkettige – PFC-Verbindungen und für den PFOS-Ersatzstoff H4PFOS. Auch der langfristige Zielwert von 0,1 µg/L (Summe aller gemessenen PFC) wird mittlerweile im Trinkwasser aus Ruhr und Möhne eingehalten und zum Teil deutlich unterschritten. Aus gesundheitlicher Sicht ergibt sich daher nach heutiger Einschätzung keine Handlungsnotwendigkeit.

Im Zusammenhang mit dem PFC-Fund im Sauerland hat das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV NRW) seit dem Jahr 2006 verschiedene umweltepidemiologische Studien konzipiert und wissenschaftlich begleitet.

PFC in Oberflächengewässern

Derzeit werden in Oberflächengewässern landesweit insgesamt 17 PFC-Einzelverbindungen analysiert. Der Schwerpunkt der Untersuchungen lag anfangs im Ruhreinzugsgebiet. Die Auswertung der Ergebnisse ab dem Jahre 2008 ergibt für NRW, dass an den meisten Überblicksmessstellen sowohl für die Einzelparameter als auch für die Summe der wichtigsten PFC der angestrebte Zielwert von 100 Nanogramm pro Liter (ng/L) seit 2012 im Jahresmittel eingehalten wurde.

Seit 2010 ist eine Tendenz zu einem abgesenkten Belastungslevel zu beobachten. Aktuell liegen die Werte für PFOS im Rhein sowie in den meisten Nebengewässern in der Regel unterhalb von 0,01 μg/L Vor dem Hintergrund der in 2016 überarbeiteten Oberflächengewässerverordnung ist mittlerweile für PFOS ein niedrigeres Qualitätsziel heranzuziehen (9,1 μg/ kg in Fischen und 0,65 ng/L im Wasser).

PFC im Abwasser

In den branchenspezifischen Anhängen der Abwasserverordnung (AbwV) sind Begrenzungen für organische Stoffe, also auch für die Gruppe der PFC, im Abwasser direkteinleitender Betriebe über die Summenparameter CSB oder TOC enthalten. Stoffspezifische Regelungen sind in der AbwV nur ausnahmsweise vorgesehen. In den seit 2016 novellierten Anhängen werden sukzessive bei relevanten Branchen Minimierungsanforderungen für PFC im Abwasser gestellt. In der Fortschreibung der AbwV vom 1. Juni 2016 wurde für PFC in der Anlage 1 zu § 4 AbwV (Analysen- und Messverfahren) zudem ein konkretes Verfahren (DIN 38407-42, Ausgabe März 2011) zur Bestimmung von PFC aufgenommen.

Die geltenden Relevanzkriterien für Abwasserdirekteinleiter in NRW wurden seit Bekanntwerden der PFT-Problematik im Juni 2006 im Sauerland fortgeschrieben, weiterentwickelt und damit dem Stand der Erkenntnisse angepasst. So wurde der ursprüngliche Ansatz von 2006 um die Summe der analytisch erfassbaren perfluorierten Tenside um die polyfluorierten Tenside (PFU(d)A, PFDoA, PFDS, H4-PFOS) erweitert. Damit einerseits der Trinkwasserschutz gewährleistet wird und andererseits auch die unter öko- und humantoxikologischen Gesichtspunkten relevanten Konzentrationen im Gewässer eingehalten werden (NW-Erlass zur Neubewertung von Juni 2014), strebt NW folgende weiterentwickelte Ablaufkonzentrationen (Orientierungswerte) an: ∑ 2 PFT (PFOA+PFOS): 0,3 µg/L und ∑ aller PFC (14 PFC): 1,0 µg/L an.

Zurzeit werden vom LANUV NRW 14 PFC-Substanzen bei Abwassereinleitungen aus kommunalen Kläranlagen, industriellen Einleitern und Deponien gemessen. Untersucht wird nach DIN 38407-F 42. Bei erhöhten Messwerten im Ablauf der Einleitung erfolgt eine Quellensuche und es wird nach Möglichkeiten für Minderungsmaßnahmen gesucht."

PFC in Boden und Grundwasser

Vorrangige Ursachen von PFC-Belastungen in Böden sind unsachgemäße Abfallverwertung, Galvanikbetriebe, Feuerlöschschaum aus Feuerlöschübungen, Herstellung und Befüllung von Feuerlöschern, Durchführung von Löschversuchen und Brandschäden nach Einsatz von Löschschaum. In Nordrhein-Westfalen sind in diesem Zusammenhang mehr als neunzig Fälle mit PFC-Belastungen in Boden und zum Teil auch im Grundwasser bekannt.

Die zuständigen Bodenschutzbehörden führen Sachverhaltsermittlungen durch und schätzen die Gefährdung ab. Anschließend werden bei Bedarf die Möglichkeiten zur Sanierung geprüft. Bei der Sanierung von Grundwasserkörpern wird das Wasser in der Regel an die Oberfläche gepumpt und dort mit Aktivkohle oder Ionentauschern behandelt (Pump & Treat). Bei der Sanierung von Flächen wird in der Regel der Boden ausgetauscht oder gesichert.

In einem länderübergreifenden Projekt unter Leitung Nordrhein-Westfalens wurden Kriterien zur Erfassung entsprechender Flächen in den Katastern der zuständigen Bodenschutzbehörden erarbeitet. Das NRW-Umweltministerium hat diese Arbeitshilfe zur Berücksichtigung bei entsprechenden Fragestellungen und Fallgestaltungen empfohlen.

Rechtliche Regelungen

Vor der Umsetzung des Stockholmer Übereinkommens wurde PFOS in seiner Marktfähigkeit ab 2006 durch die RL 2006/122/EG (76/769/EWG) beschränkt. Ab 2009 (4. Konferenz Stockholmer Übereinkommen) wurde PFOS als bislang einzige Substanz aus der Gruppe der PFC chemikalienrechtlich als persistenter organischer Schadstoff (Persistent Organic Pollutant, POP)eingestuft. Herstellung, Verwendung und Inverkehrbringung von PFOS sind europaweit durch die Verordnung 850/2004/EG ("POP"-Verordnung) mit wenigen Ausnahmen verboten.

Bereits seit dem 19. Dezember 2012 befinden sich vier weitere perfluorierte Carbonsäuren (mit Kettenlängen von C11-14) in der Kandidatenliste der Europäischen Chemikalienagenur (ECHA), da diese vier Stoffe sehr persistent sind und sich in Organismen stark anreichern können (vPvB-Eigenschaften, very Persistent, very Bioaccumulative).

Ein Jahr später wurden PFOA und Ammoniumperfluoroktanoat (APFO) mit Wirkung vom 20. Juni 2013 als SVHC-Stoffe ("Substances of very high concern") in die Kandidatenliste aufgenommen.

Um die Einträge in die Umwelt zu minimieren und den Ersatz von PFOA zu beschleunigen, schlugen Deutschland und Norwegen im Oktober 2014 eine EU-weite Beschränkung bei Herstellung, Inverkehrbringen, Verwendung und Import von PFOA , ihrer Salze und Vorläuferbindungen nach REACH vor. Im Dezember 2016 stimmten die EU-Mitgliedstaaten der Beschränkung zu. Für PFOA haben sich die EU-Mitgliedstaaten auf eine Beschränkung geeinigt, die 2020 in Kraft tritt. Zudem schlägt die Europäische Kommission vor, wie bereits PFOS auch PFOA in die Verbotsliste der Stockholm Konvention aufzunehmen

Beurteilungskriterien im Umweltbereich

Im August 2013 hat die EU-Kommission PFOS in die Liste der prioritären Stoffe aufgenommen. Als relevante Umweltqualitätsnorm (UQN) gilt seither EU-weit ein Wert von 9,1 Mikrogramm pro Kilogramm (µg/kg), der in Fischen nicht überschritten werden darf. Der korrespondierende Wert für die Wasserphase beträgt 0,65 Nanogramm pro Liter (ng/L), der in Gewässern im Jahresdurchschnitt nicht überschritten werden darf. Diese Werte gelten mittlerweile auch in Deutschland (OGewV 2016).